Mittlerweile waren wir immer noch mit vollem Gross und voller Genua unterwegs und machten gut Tempo. Es machte fast den Anschein, als ob auch Makani endlich in der Karibik ankommen wollte. Wir hatten über die letzten 12 h einen Schnitt von rund 8.5 Knoten Fahrt. Kurz nach Mittag war die Entscheidung dann gefallen unsere Turtle wieder aus dem Segelkasten hervorzuholen. Damit erhoffte sich Martin ein wenig gemütlicheres Segeln. Gesagt, getan und schon bald hing unsere Lieblingssegel wieder am Himmel mit Blick gegen Westen in Richtung Karibik.
Diesen Downwind-Kurs könnten wir alle wohl für immer segeln. Wir witzelten schon, dass wir alle anderen Segel verkaufen würden und nur noch „Turtle“ behalten. Wenn wir gewusst hätten, wie wenig wir in der Karibik unser Lieblingssegel sehen würden, hätten wir es vermutlich noch mehr genossen.
Als ich in dieser Nacht gegen 2 Uhr Timon bei der Nachtschicht ablöste, fragte ich ihn nochmals, was denn der genaue Ablauf sei und ich als erstes machen müsse, falls ich so einen Squall entdecken würde. Schliesslich waren wir wieder mit unserer Turtle unterwegs. Diese zu bergen bei Wind war nicht unbedingt das Einfachste. Nachdem mir Timon nochmals alles in Ruhe erklärt hatte, setzte ich mich in den Lazybag auf der Flybridge. Dort hatten wir unsere Nachtdienst-Gemütlichkeitsecke eingerichtet. In den grossen Sitzsäcken konnten wir nicht nur gemütlich lesen sondern hatten auch eine gute Sicht auf die Instrumente am Cockpit.
Es vergingen kein 5 Minuten, als mich mein Rundblick ein wenig irritierte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass unser Wingaker viel zu sehr auf der Backbordseite hing. Zudem konnte ich gerade beobachten, wie er in sich zusammenfiel. Das hatte Turtle noch nie gemacht. Ich war mir sicher, da stimmte was gewaltig nicht! Martin hatte jedoch beim Abendessen noch gesagt, dass er die Aufhängepunkte des Wingakers immer mal wieder verändern würde, um die Abnutzung der Seile zu minimieren. Ich schob mich aus dem Beanbag und ging zur Steuerbordseite, um die Aufhängungen zu überprüfen. In der Dunkelheit sah ich den Seilen nach, die der Reling entlang hoch in den Nachthimmel zu Turtle führten. Ein Seil hing lose am Himmel! Shit! Ich rannte runter und hämmerte an Timons Türe in der Hoffnung, dass er nicht schon in den Tiefschlaf gefallen war. Doch durch meine Ankündigung, dass das Segel nicht mehr hing war er schlagartig wieder wach und hetzte mit mir zusammen hoch in den Steuerstand. Sofort wurden die Schwimmwesten angezogen, die Stirnlampen über den Kopf gestülpt und gemeinsam versuchten wir den Wingaker zu bergen. Während Timon und ich versuchten den Schlauch über das Segel zu stülpen, war auch Ronin aus dem Schlaf erwacht und löste im Heck des Schiffs die beiden Leeleinen, damit der Druck aus dem Downwind-Segel entweichen konnte. Der Schlauch legte sich jedoch nur sehr zäh um das blaue Tuch und wir mussten mit ganzem Körpereinsatz am Bergeseil ziehen, bis Turtle endlich im schwarzen Überzieher verschwand und vor den Salings geschützt am Mast hing.
Ein Seil war an einer Seildurchführung komplett durchgescheuert worden und hatte sich schliesslich den Naturkräften ergeben. Puh, das war gerade nochmals gut gegangen! Ich ging hinunter zu Martin und musste den armen Captain aus dem Tiefschlaf holen. In seinen Augen war zuerst die Leere des Tiefschlafs und dann ein kleiner Schreck und schliesslich wieder die ursprüngliche Gelassenheit zu erkennen. Er stellte sich im Cockpit im Salon gemütlich ans Fenster und stellte den Jungs anschliessend das Decklicht ein. Fehlte bei seiner Gelassenheit nur noch die Kaffeetasse in seiner Hand. Draussen waren Ronin und Timon dabei ein Ersatzseil, welches sie aus der Segelluke entnommen hatten wieder am Wingaker zu befestigen. Ziel war es natürlich, Turtle so schnell wie möglich wieder steigen zu lassen. Gesagt, getan! Keine 30 min nach dem Riss des Seils hing unser Wingaker wieder an seinem gewohnten Ort und die restliche Mannschaft konnte sich wieder schlafen legen. Ich begab mich zurück auf meinen Nachtschichtposten und hoffte, dass es dies für heute gewesen war mit der Action.
Martin löste mich um 4 Uhr ab und ich versuchte ein wenig Schlaf zu finden. Ich war gerade mal knapp eingeschlafen, als ich wieder Radau aus dem Salon hörte und die etwas aufgeregten Stimmen von Ronin und Martin vernahm. Anscheinend war der Wind stärker geworden und nun mussten wir zwangsläufig doch wieder auf die Genua wechseln. Gemäss Hersteller sollte der Wingaker bei Windstärken über 24 kn nicht mehr benutzt werden. Und die Windanzeige mass in den Böen dann doch zeitweise gegen 30 kn. Da ich eh schon aufgestanden war, legte ich mir die Schwimmweste an und ging auf Vorderdeck, um den beiden Männern zu helfen. Martin löste hinten auf der Backbordseite die Leinen des Wingakers, während Ronin und ich auf dem Vordeck versuchten den Schlauch über unser Segel zu ziehen. Dies klappte aber wieder mal überhaupt nicht gut und uns war schnell klar, warum der Bergeschlauch sich nur sehr harzig übers Segeltuch stülpte. Das Seil, welches normalerweise über eine Rolle lief, war aus der Halterung gesprungen und somit seitlich eingeklemmt. Endlich war aber das Segel unten und im Segelsack im Schwimmer verstaut. Der Wind hatte jedoch auch wieder nachgelassen und man hätte mit dem Wingaker eigentlich Weitersegeln können. Doch die Genua war ausgerollt und versah am Bug des Schiffs ihren Dienst. Zeit also, sich nach den Strapazen der Nacht wieder schlafen zu legen.
Ich freute mich jedoch auf den Moment, die Schildkröte wieder am Himmel stehen zu sehen. Das Hochziehen des Schutzschlauchs um den Wingacker fühlte sich immer in etwa so an, wie wenn der Messdiener in der Kirche die schweren Glocken ertönen lassen durfte wenn er kräftig am Strick riss. Als Martin und ich am nächsten Morgen Turtle wieder steigen lassen wollten, hörte ich jedoch kein Glockengeläute sondern meinen Schrei und Martin’s gleichzeitig. Denn obwohl wir einen Downwindkurs eingeschlagen hatten entfaltete sich Schildkröte in die entgegengesetzte Richtung und flatterte dabei bedrohlich nah an die Saling und in Richtung Mast. Ronin kam in gestrecktem Galopp vom Cockpit zum Vorderschiff geflogen und rief: „falscher Zeitpunkt!“ Oha, da hatten wir wohl gerade den Moment erwischt, als Makani eine der Wellen abritt und wir dadurch kurz Gegenwind verspürten. Also nochmals den Schlauch runter und einen geeigneteren Moment abwarten. Aufgrund der Kreuzwellen gar nicht mal so einfach. Kaum war die Sonne im Meer versunken strömte meine Mannschaft wieder in die Küche und frönte ihrer zweiten oder mittlerweile ersten Lieblingsbeschäftigung, dem Kochen. Ronin hatte am Nachmittag schon Pizzateig hergestellt und machte sich daran auf die Pizzas zu belegen und eine nach der anderen in den Pizzaofen zu schieben. Als schliesslich alle satt waren, war immer noch viel Teig vorhanden. Ronin meinte dann nur, dass er damit sicher noch 4 weitere Pizzas machen könne und diese auch problemlos alleine essen würde.
Von mir wurde Ronin nur noch „das schwarze Loch“ genannt. Den Vogel abgeschossen hatte er nämlich vor ein paar Tagen. Kaum war da das Abendessen verspiesen meinte Ronin nur: „Uah, bin ich vollgfressä!“ Er hatte auch mindestens für 4 Personen reingehauen. Einen Atemzug später und kaum vom Tisch aufgestanden dann: „So, und jetzt no es paar Banändli“. Ich sah ihn an und fragte, ob das jetzt tatsächlich sein Ernst sei. Da meinte er nur: „Ja, aso Banändli gönd immer. Das isch ja au kei Esse und het immer Platz!“ Unglaublich!
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