Teil 23 - Die Walflüsterer
- Denise Romer
- 5. Apr.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Apr.
Kaum hatten wir Nicolai auf St. Lucia verabschiedet kamen auch bereits unsere neuen Gäste an Bord. Martin hatte vor vielen Jahren ein Paar beim Windsurfen auf Hawaii kennengelernt. Nun wollten die Beiden mit Makani Pottwale suchen gehen.
In Le Marin auf Martinique standen die beiden mit riesigen Taschen auf dem Pier und erwarteten bereits unsere Ankunft.
Keine zehn Minuten später hatten sie auch schon das komplette Innenleben der Seesäcke auf dem Heck der Yacht ausgebreitet. Es wurden Neoprenanzüge, Schnorchel und Masken und vier Paar Flossen sowie Gewichtsgürtel und weiteres Tauchequipment hervorgekramt - und tatsächlich - ein Blumentopf. Was der sollte, das war mir schleierhaft und kam erst in den folgenden Wochen zum Vorschein.
Naia und Francis liessen sich von Martin die Sicherheitsvorschriften auf dem Schiff erklären. Unsere Gäste erklärten Martin im Gegenzug den Plan, dass er sie in Richtung Norden bringen müsse, um dort die Wale zu suchen. Dies fügte sich ganz gut in unseren Plan, da wir bereits beabsichtigt hatten, am nächsten Tag dort bei Dominica einen Tauchgang zu machen. Die Gesichter der Beiden wurden lang und schien alles andere als Begeisterung auszulösen. «No Tanks thanks!» Also keine Tauchflaschen meinte Naia promt. Sie waren seit einiger Zeit Freitaucher und das Benutzen von Tauchflaschen war in ihren Augen nicht mit dem freien Tauchen vereinbar.
Schnell fanden wir heraus, dass die Beiden sich nicht nur mit dem Meer in Einklang befanden sondern deswegen auch jeglichen Fisch zum Essen ablehnten. Da mussten wir unsere Ernährungsplanung gehörig umstellen. Unser Essen bestand vielfach aus Gerichten mit den von uns gefangenen oder harpunierten Fischen. Davon liessen wir uns mal nicht so schnell aus der Ruhe bringen. So wurde der Tiefkühler also beim nächsten Einkauf zusätzlich mit hochwertigem Biofleisch von Huhn und Rind angereichert.
Kurzerhand übernahmen nun die zwei Gäste per sofort das Kommando in der Schiffsküche. Die Menüvariationen ihrer exotischen und gesunden Küche schmeckte jedoch so lecker, dass der wir in der Kombüse dafür gerne nur noch den Abwasch machten.

Unsere Reise führte uns schnell weiter in den Norden nach Dominica. Das Wetter wurde jedoch immer schlechter und Regen setzte ein. Naia und Francis hatten es sich jedoch in den Kopf gesetzt, die Wale zu finden.
Während wir uns im trockenen Salon aufhielten und den Autopiloten segeln liessen, standen unsere beiden Hawaiianer beharrlich draussen im strömenden Regen und starrten mit den Feldstechern in die tobende See hinaus. Unser Ölzeug hatte also nochmals seinen grossen Auftritt. Dieses hatten wir vor Monaten in den untersten Bilgenkisten verstaut, in der Hoffnung, dass wir das nicht mehr benötigen würden.

Ronin stieg immer wieder die Treppe hinauf zum Cockpit, um den Anweisungen unserer Gäste zu folgen und wurde so fast ein wenig unfreiwillig zum Steuermann ihrer Waljagd. «De Autopiloten zehn Grad West! Nei, jetzt 5 Grad Ost!» hörte man von der Flybridge rufen - Die Langeweile war Ronin bereits ins Gesicht geschrieben. Bisher hatten sich die Wale nicht sehen lassen.
Als die Sonne sich wieder zeigte, holten die beiden einen grossen Sack hervor. Darin befand sich ein aufblasbarer Gummiring. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Freediveboje handelte. Unser Interesse war nun doch noch geweckt worden. Nach Tagen des endlosen Herumsegelns bei nicht allzu gemütlichem Seegang war heute kein Wind in Sicht.
Perfekt, um die Wale zu finden, meinte Naia. Doch vorher würde sie uns eine Lektion im Freitauchen unterrichten. Na klar! Bei neuen Wassersportsachen waren wir immer sofort dabei. So hörten wir die nächste Stunde von hypnotischer Atmung und dem freien Fall in die Tiefe – während Ronin bereits in der Theorie einschlief. Ich war sicher, dass er bereits in den unendlichen Tiefen des Meeres seine grossen Fische harpunierte.

Kaum hatten wir unsere Atemübungen gemacht, hörte man Naia schon nach Francis rufen. «Francis, hol mal ds Hydrophon!» Schon rannte er los und stand keine zwei Minuten später mit dieser ominösen Salatschüssel - pardon - Hydrophon, am Heck von Makani. Naia stöpselte sich die Kopfhörer in die Ohren und steckten das Ende in die Musikbox von Ronin. Das Ergebnis – glasklarer Empfang von Motorgeräuschen. Die Ausflugsboote nun über den Verstärker. zu hören führte auch bei Naia und Francis zu herzlich wenig Begeisterung. Von Walgesängen keine Spur.

Die Tage vergingen, und unsere Stimmung an Bord sackte auf ein Rekordtief. Zwei Wochen lang dasselbe Spiel: von der Secret Bay auf Dominica hinaus aufs Meer, ergebnislos umhersegeln und wieder in die Bucht zurück. Die einzigen, die sich prächtig zu amüsieren schienen, waren die Delfine. In Scharen versammelten sie sich vor unseren drei Rümpfen – nicht etwa aus Bewunderung, sondern wohl eher, um uns nach Strich und Faden auszulachen.
„Francis, ich wott is Wasser zu de Delfin!“ – „Hol mer d’Unterwasserkamera! Schnell!“ rief es vom Bug. „Jetzt na d’Brille und Schnorchel! Mach!“ – „Martin, spann das Seil do zwüsche die Büg!“ Naia war im Befehlston, und Francis sprintete los. Das ominöse „Seil“ war in Wahrheit unsere Ankerkralle, die eigentlich dazu diente, die Ankerwinch zu entlasten. Doch jetzt wurde sie kurzerhand zur improvisierten Delfin-Schwimmstation umfunktioniert.
„Martin, mach s Boot langsamer!“, schallte es wenig später – diesmal direkt vom Wasser. Naia hatte sich elegant um das Seil geschlungen, die Unterwasserkamera im Anschlag, während Francis hektisch hin- und her rannte. Was für eine geniale Idee!
Ich blickte zu Martin. Dieses schelmische Blitzen in seinen Augen konnte nur eines bedeuten – keine zwei Sekunden später war er bereits auf der anderen Seite des Bootes ins Wasser hinabgestiegen. Und die Delfine? Die drehten noch eine ganze Weile voller Spielfreude ihre Runden vor unserem Boot. Einer nach dem anderen liess sich nun ebenfalls am Seil ins Wasser gleiten und genoss die Show – eine Szene, die sich nun bei der Makani Crew garantiert bei den nächsten Delfin-Begegnung wiederholen würde. Hofften wir zumindest.

Seit Tagen verfolgten wir das Walbeobachtungsboot, welches ebenfalls mal mehr nördlich, mal mehr südlich von uns auf der Suche nach den Pottwalen war. Endlich sahen wir, dass da Bewegung in dieses fast schon statische Bild gekommen war. Das Ausflugsboot beschleunigte und wir setzten sofort Kurs in die gleiche Richtung. Am Horizont konnten wir die Schwanzflossen gerade noch erkennen. Francis rannte auf die Zurufe von Naia wie wild durchs Schiff. « Francis, mini Sunnebrille!» «Francis s Hydrophon!» «Francis, mini Tauchbrille und Schnorchel! Schnell! « «Francis, min Fotoapparat!» « Nei Francis, de falsch, de ander wotti» «Francis de Feldstecher!»
Während die beiden nun zu unserer Bordunterhaltung beitrugen, sassen wir restlichen Vier im Cockpit und beobachteten das Geschehen. Um auch noch etwas zur Walfindung beizutragen betätigte wohl jeder von uns die Taste des Autopiloten, um den schnell wechselnden Kursanweisungen von Naia gerecht zu werden.
Leider vergingen noch weitere Tage, an denen wir nur noch von Weitem eine Wasserfontäne oder eine Schwanzflosse ausfindig machen konnten. Entweder wir hatten einfach zu viel Wind und die Wale konnten nicht gesichtet werden oder es hatte kein Wind und wir waren viel zu weit weg.
Und dann war der Moment endlich da. Alle Bedingungen waren erfüllt und die Wale tauchten in unmittelbarer Nähe zu unserer Makani auf. Ronin startete die Drohne und verfolgte ihre Zugbahn, während Martin und seine beiden Gästen mit dem Fernglas die Wale verfolgten.
Makani gleitete still vor sich hin und wartete in mehreren hundert Metern Entfernung auf die Ankunft der Pottwale. Auf den Drohnenaufnahmen konnten wir erkennen, dass es sich um zwei erwachsene Wale und ein Kalb handelte.

Während Francis sich um das Bereitstellen der Freediveausrüstung bemühte, gab uns Naia zu verstehen, dass wir erstmal zuwarten müssten. Sie würde erst mit den Walen sprechen und würde dann ein Zeichen geben, ob wir ebenfalls ins Wasser steigen dürfen. »Ok! Was?! Hä?» Wir schauten uns an und hatten wohl alle die gleichen brennenden Fragen ins Gesicht geschrieben. Naia erklärte uns, dass die Wale uns erst kennen lernen mussten und sie versuchen würde, Vertrauen aufzubauen. Sonst würden sie sofort abtauchen und verschwinden.
So blieben wir erstmal geduldig auf dem Heck stehen und warteten auf ein Zeichen der beiden Walflüsterer. Martin und Sino hatte jedoch schnell Hummeln im Hintern und sprangen mit der Schnorchelausrüstung ins Wasser. Ronin blieb im Cockpit stehen und änderte den Kurs von Makani. Immer näher kamen die grossen Tiere und plötzlich verschwand das Muttertier direkt unter Makani. Martin hielt das Geschehen unter seinem Boot mit der Iphonekamera fest, während Ronin ein Video derselben Szene vom Heck der Makani festhalten konnte. Wow! Wenn das nicht eindrücklich war! Die Walmama überliess also ihr Kalb voller Vertrauen der Makani-Crew und tauchte in die Tiefen des Meeres ab.
Naia und Francis waren ein paar Meter weiter mit dem Kalb auf Augenhöhe am schnorcheln. Dieses schien die beiden neugierig zu beobachten. Das finale Zeichen von Naia kam und der Rest der Bootscrew liess sich nun ebenfalls möglichst geräuschlos ins Wasser gleiten.
Die nächsten dreissig Minuten liessen wir uns neben dem Walbaby treiben. Das Gefühl neben diesem unglaublich schönen Tier zu schwimmen war einzigartig und unvergesslich. Während wir von unserem Glück hypnotisiert neben dem Baby trieben, tauchte die Walmutter in einiger Entfernung wieder auf. Es war Zeit, ihr Baby abzuholen. Dieses änderte auch schon seine Schwimmrichtung und nahm Kurs auf seine Mama. Wir liessen uns zurückfallen und beobachteten das Abtauchen der beiden grossen Säugetiere unmittelbar neben uns. Das Baby drehte sich beim Abtauchen nochmals um seine eigene Achse. So, als wollte es uns 'Auf Wiedersehen' sagen.

Wenn die Tage mit unseren lieben Walversteher für eine Truppe wie die Sail4Surf Crew doch eher etwas ausserhalb unserer gewohnten Lebhaftigkeit verliefen, waren die Eindrücke die wir durch Naia und Francis erhielten etwas, das wir nie vergessen werden. Ich denke auch, dass es uns definitiv nicht geschadet hat, die Welt mal nicht aus Sicht des Wassersports zu betrachten und ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Ob wir uns wieder gezielt auf die Suche nach Walen machen würden? Wohl eher nicht! Aber ob wir wieder mit Walen schwimmen würden? Ohne Frage: Ja!

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