Teil 22 - Auf Abwegen
- Denise Romer
- 16. März
- 6 Min. Lesezeit
Unsere Versuche, das Dingi wieder zum Laufen zu bringen, scheiterten. Der Motor streikte beharrlich weiter. Doch als kleine Wassersportstation mit rund 25 verschiedenen Boards, die irgendwo verstaut waren, hatten wir noch genügend Alternativen, um halbwegs trocken an Land zu gelangen. Einkaufstüten jedoch unversehrt zurück aufs Boot zu bekommen, könnte noch zur Herausforderung werden. Glücklicherweise hatten wir vorerst genug Vorräte, und wir waren zuversichtlich, dass auf einer der Inseln jemand zu finden sein würde, der unseren Motor wieder in Gang setzen konnte.
So segelten wir also gut gelaunt weiter Richtung Süden. Unser Ziel: die Insel Petit Tabac. Hier soll angeblich eine Szene des Hollywood-Klassikers Fluch der Karibik mit Johnny Depp gedreht worden sein. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Makani näherte sich langsam dem kleinen, mit Palmen bewachsenen Sandhaufen. Ohne Dingi blieb uns nichts anderes übrig, als den letzten Abschnitt schwimmend zurückzulegen. Während Nicolai, Martin und ich unsere Taucherbrillen und Flossen aus dem Stauraum holten und zur Insel schnorchelten, liess Ronin seine Drohne starten.
Es war ja klar, dass Martin und ich eine Filmszene nachspielen wollten – die Gelegenheit war einfach zu perfekt. Also zogen wir einen wasserdichten Seesack hinter uns her, den wir vor dem Sprung ins Wasser noch mit ein paar Rumflaschen aus unserer Bordbar gefüllt hatten. Auf der Insel angekommen, prosteten wir mit den Flaschen in der Hand Ronin zu, der uns mit der Drohne vom Boot aus filmte. Gerade als er die Kamera über uns schweben liess, nahmen wir 'Schiffbrüchige' einen kräftigen Schluck. „Iiii! Was ist denn das für ein Zeug?“, entfuhr es Nicolai. Wir sahen zu ihm rüber – und Martin brach in schallendes Gelächter aus. Der Billigrum, den er in einem Anfall von Kaufrausch auf einer Insel erstanden hatte, entpuppte sich als purer Zuckersirup. Unseren Spass beim Videodreh konnte das aber nicht verderben. Und ich finde, unsere Version der Szene hätte durchaus Hollywood-Potenzial. Zumindest wir drei hatten eine Menge Spass – und die Drohnenaufnahmen sind spektakulär.

Weiter ging es zurück nach Norden, zur Insel Canouan. Wir hofften, dort jemanden zu finden, der unser Dingi wieder flott machen konnte. Kaum hatten wir den Anker in den Sand gesetzt, näherte sich bereits ein Fischerboot. Kurze Zeit später schleppte uns der Fischer samt Dingi an den Strand.

Martin verabschiedete sich und machte sich auf die Suche nach einem Mechaniker, während Nicolai und ich zu Fuss die Insel erkundeten.
Leider konnte der örtliche Handwerker Martin nicht weiterhelfen und verwies uns auf einen Kollegen auf der nächsten Insel. Also wieder Anker hoch und weiter zur nächsten Insel.
Auf St. Vincent angekommen, stand aber zunächst Wassersport auf dem Programm. Tauchen konnten wir auch ohne Beiboot direkt vom Schiff aus. Für Nicolai war es ein weiteres Highlight als Teil der Makani-Crew. Fast eine Stunde lang erkundeten wir gemeinsam die Korallenriffe und bestaunten die faszinierende Unterwasserwelt. Dass auch ein kleiner Riffhai eine Weile mit uns mitschwamm, behielt ich allerdings lieber für mich um Nicoloais's Nerven zu schonen. Doch waren mir mir die Haie trotz meiner zahlreichen Tauchgänge immer noch nicht ganz geheuer.

Am nächsten Morgen segelten wir weiter in die Buccament Bay, wo wir Lando, den Mechaniker, treffen sollten. Hoffentlich konnte er unser Dingi wieder in Gang bringen.
Martin liess Anker fallen erneut in den weichen Sand unter Makani gleiten und richtete anschliessend sein Fernglas auf die Insel. „Do gibt’s e Strandbar mit Pool. Gömer mal go luege, ob das All-Inclusive isch und mir en Drink chönd abstaube, solang mir uf de Lando warte müend!“, meinte unser Capitano mal wieder mit einem schelmischen Grinsen. Ich war sofort dabei. Auch Nicolai hatte bereits seine Badehose angezogen. Also sprangen wir kurzerhand ins Wasser und schwammen zum Hotelstrand – lediglich mit einer Kreditkarte in der Tasche der Boardshorts.
Wir schlenderten so unauffällig wie möglich durch die Hotelanlage bis zur Bar. Doch kaum wollten wir bestellen, tauchte ein grimmiger Security-Mann auf. „Diese Leute gehören nicht zum Hotel!“, schnauzte er den Barkeeper an, der bereits damit begonnen hatte, unsere Drinks zu mixen. Martin zückte seine Kreditkarte, doch der Wachmann grinste nur hämisch und wies uns an, das Gelände sofort zu verlassen. Na gut, dann eben nicht. Es würde sicher noch eine andere Bar in der Nähe geben, die unser Geld gerne annahmen.
Wir liefen am Strand entlang, als mir plötzlich etwas auffiel. „Sag mol, simmer würkli so wit as Land geschwumme?“ Martin folgte meinem Blick – und sein Gesichtsausdruck gefror. „Scheisse! Mis Boot triebt ab!“, rief er entsetzt. Und tatsächlich – Makani driftete langsam aufs offene Meer hinaus.
„Aber de Ronin müesst das doch gmerkt ha! Oder schloft er?“, fragte ich – „Mann, usgrechnet hüt hani mal mal ausnahmsweise nid idampft! Das gibt’s doch gar nid. De Anker het doch immer ghebet?!“ Ungläubig starrte Martin aufs Wasser und sah seiner Makani zum wie sie immer weiter in Richtung offenes Meer davon trieb. Wir konnten nichts tun – so ganz ohne Dingi und ohne Telefon waren wir ein wenig aufgeschmissen. Die Fischer, die in ihren Holzbooten sassen, lachten bereits. Auch deren Frauen am Strand kicherten. Doch einer der Männer fuhr schliesslich zu uns rüber und winkte uns ins Boot.
Martin sprang sofort hinein, und sie nahmen Kurs auf Makani. Nicolai und ich blieben zunächst am Strand zurück und warteten. Als Martin zurückkam, meinte der Fischer nur trocken, dass der schlammige Untergrund beim Bachbett noch nie hätte gehalten habe. Diesen kleinen Schock mussten wir erst einmal mit einem kühlen Bier verdauen.
Beim Abendessen erklärte Ronin: „Ich bi grad am Choche gsi und has erst gemerkt, wo de Papi mit dem Fischer azbrause cho isch.“ Wenn man Ronin kannte, wusste man, dass ihn weder ein Telefonanruf noch lautes Rufen aus seiner Küchenwelt geholt hätten. Vermutlich hätte nicht einmal ein Bombenalarm gewirkt – mit seinen Kopfhörern auf den Ohren war er völlig in seine Gourmet-Welt des 'Gault Millau' versunken.
Ronin scrollte auf seinem Handy durch Google Maps. „Do git’s en Vulkan! Ich will mal luege, öb ich mitem Bike cha ufefahre!“, sagte er begeistert. „Jo, denn muesch aber zerst mal ds Velo parat mache“, entgegnete Martin. Ronin verdrehte die Augen, stapfte aber in den Mittelschwimmer und begann, das E-Bike auf der Heckplattform vorzubereiten.
„Mann!“, fluchte er. „Diä Chetti isch total verrostet! Da bewegt sich keis einzigs Glied meh!“ Martin zuckte nur mit den Schultern – nichts Neues, dass mal wieder etwas Rost ansetzte. Ronin umrundete zu Fuss noch ein paar Mal das Fahrrad, bevor er sich schliesslich doch entschied, die Kette auszubauen.
Die nächsten Stunden verbrachte er am Esstisch vor einer mit Rostenferner gefüllten Schüssel. Dabei tauchte er die einzelnen Kettenglieder langsam in die Flüssigkeit und massierte sie geduldig, bis sie sich wieder bewegen liessen. Schliesslich fuhr er mit dem Dingi fast um Mitternacht ans Ufer, wo er jemanden gesehen hatte, der Palmenblätter verbrannte. Sein Plan: die Kette mit Feuer säubern.
Am nächsten Morgen glänzte die Fahrradkette wie neu. Das E-Bike war bereit.
Pünktlich um sechs Uhr holte uns der Fischer mit seinem Holzboot ab. Ungläubig starrte er das Fahrrad an. „Was wollt ihr damit? Hier gibt es keine Strassen!“ Ronin grinste. „Ich fahre damit auf den Vulkan!“ – „Unmöglich!“, lachte der Fischer. „Hier gibt’s keine Wege!“ – „Keine Sorge, wir sind aus der Schweiz – wir finden überall eine Route!“, meinte Ronin selbstbewusst.
Ich war mir sicher, dass beide vermutlich recht hatten. Strassen gab es bestimmt keine, aber Ronin würde bestimmt einen Weg finden um den Gipfel des Vulkans zu erreichen. Der Fischer setzte uns an einem Flussdelta ab und fuhr kopfschüttelnd davon. Martin, Nicolai und ich stapften schon mal durch das ausgetrocknete Bachbett, als wir plötzlich lautes Fluchen hinter uns hörten.
„Gopferdami! Scheiss Chetti!“ Wir drehten uns um und sahen Ronin neben dem Fahrrad stehen – die Kette war gerissen. „Oh Mann, ich rüehr jetzt das Ding hinter de nögst Busch!“, schimpfte er weiter. Ronin stänkerte noch ein paar Minuten vor isch hin. Doch schon bald meinte er: „Dänn stoss ich halt de Siech de Berg duruf – denn chani wenigstens abefahre!“
Gesagt, getan. Und ich muss sagen: Ich staunte Bauklötze über seine Ausdauer. Während wir schon mit unserem eigenen Körpergewicht zu kämpfen hatten, schob Ronin das 25 Kilogramm schwere E-Bike unermüdlich durch den Dschungel und über die steilen Pfade.

Unglaublicherweise erreichte er als Erster den Krater des Vulkans. Chapeau! Das war wirklich eine Leistung. Die Aussicht von oben war atemberaubend, und der anstrengende Aufstieg hatte sich auch für uns mehr als gelohnt.
Ehrlich gesagt war ich mir jetzt aber nicht sicher, ob ich lieber zu Fuss absteigen oder doch ohne Kette mit dem Bike über das Lavagestein fahren wollte…
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