top of page

Teil 25 - Die Flucht vor dem Hurrikan

Aktualisiert: 31. Juli

Der Nachmittag des 22. Juni zeigte sich bereits von der stürmischen Seite. Der Wind hatte aufgefrischt und Makani stampfte in den Wellen gegen Süden. Der Himmel öffnete seine Schleusen - und wir verschlossen die Luken regendicht. Das niederprasselnde Gewitter verrichtete die Arbeit auf Deck, die wir schon länger hätten machen sollen und das Wasser rann in kleinen Fluten über die Schwimmer zurück ins Meer. Ich schaute immer mal wieder besorgt auf mein Handy und die Wettervorhersagen über den bevorstehenden Hurrikan. Doch beim Umschauen im Innern des Schiffs merkte ich bald, dass ich wohl die Einzige war die sich mal wieder Sorgen machte.

Sino fläzte sich bei der Navigationsstation auf dem Stuhl, seine Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung aufgesetzt. Er war mit mit Computerspielen auf seinem Handy beschäftigt - ich vermutete mal ein Spiel namens „Ignorier die Realität 3.0“ - und war somit in seiner eigenen Welt versunken. Unser Captain schlief friedlich im Salon auf der Couch. Wie immer war er die Ruhe selbst. Das war an seinen regelmässigen Atemzügen zu erkennen. Die Mundwinkel zu einem Grinsen verzogen, war Martin in seiner Traumwelt wohl bereits in der Südsee angekommen.

Ich stieg kopfschüttelnd die Treppe hoch zum Cockpit und korrigierte den Autopiloten um 10 Grad Ost, um der nächsten Regenfront auszuweichen und nahm so Kurs zur Insel Meyreau, bei welcher wir die kommende Nacht den Anker setzen wollten.

Der Himmel klarte so schnell auf wie die Wolken gekommen waren und die Farben des Meeres glichen sich auch schon bald den Blautönen des Himmels an.

Kaum war die Insel in Sichtweite stand Martin noch ein wenig schlaftrunken neben mir. „Simmer gli det?“ fragte er und streckte seine Hand zu seiner, vom Regen nass gewordenen, Lesebrille hinter dem Steuerrad aus. Diese halb auf seine Nase setzend blickte er auf die Karte vor ihm. „Chasch mal die Bucht zuestüre, det gsehts guet us.“ Er deutete auf einen Flecken auf der Karte und verschwand wieder im Innern des Schiffs. Keine 5min später stand er grinsend mit zwei Tassen dampfendem Kaffee und ein paar Schöggeli wieder neben mir. Während ich also Martin das Kommando wieder überliess, studierten wir gemeinsam die Wetterdaten der kommenden Tage. „Meinsch dreht de Hurrikan na ab in Richtig Norde?“ fragte ich mit besorgter Stimme. Entgegen kam mir natürlich das altbekannte Strobl-Sorglos Gefasel. „Klar! Ich ha denkt, mir seglen jetzt namal übere zur Jack Sparrow Inlsä und denn uf Union Island zum namal chli go winge oder kitä. Aber zerst wott ich jetzt namal biz go schnorchle“.

Ich überlegte kurz, ob Martin das gleiche App konsultierte, um die Hurrikans zu beobachten wie ich. Meines zeigte klar die Tendenz, dass der Wirbelsturm geradewegs Kurs in unsere Richtung nahm. Ok, es waren bis zum Eintreffen noch ein paar Tage und bisher war es lediglich ein Sturm der Kategorie 2. Vermutlich machte ich mir mal wieder viel zu viele Sorgen. Wie immer...


ree

Union Island - Thompson Island Bar & Grill


So segelten wir gemütlich von den Tobago Cays über Palm Island in Richtung Carriacou. Dort gab es gemäss unseren Recherchen zumindest einen geschützten Ort – ein sogenanntes Hurricane Hole – wo wir uns zur Not zwischen den Mangroven verkriechen konnten. Bei den Seglern merkte man langsam die Unruhe über das Ungewisse. Die Diskussionen um die Zugrichtung des Tropensturm waren auf allen Kommunikationskanälen allgegenwärtig. Einig waren sich alle. Jetzt war es an der Zeit in den Süden zu segeln.

So setzte nun einer nach dem anderen Kurs Richtung Trinidad. Mir hingegen passte das eigentlich so gar nicht: In vier Tagen sollte mein Rückflug ab St. Lucia starten. Und Trinidad lag nicht gerade „auf dem Heimweg“.


„Martin, aso ich gseh das eigentlich nüme so ganz, das mit wieder in Norde segle. Wenn das aluegsch, denn chunt de Hurrikan grad uf üs zue. Meinsch nid, es wär besser wenn mir das Hurrican Hole würden go ufsueche uf Carriacou?“ fragte ich unseren Captain, als wir beide mal wieder oben im Cockpit beim Kaffee sassen. „Jo, mir gönd denn das go aluege. Sött ja sicher si, zum s Boot det verstecke. Aber lueg mal da, hesch das gseh?“ Martin deutete mit dem Finger auf einen winzigen Punkt auf der Google Karte auf seinem Handy. „Das isch Mopion. Det hets anschienend nur e Sunneschirm druf. Seb gömer jetzt grad go aluege. Liegt ja ufem Weg“ grinste er fröhlich und stapfte mit den leeren Kaffeetassen zurück in die Küche. Martin strahlte die komplette Ruhe aus und ich war sicher, dass wir das einzige Segelboot waren, auf dem keinerlei Aufbruchstimmung herrschte.

Mopion Island war genau das, was Martin gesagt hatte. Ein Sandhaufen mit einem Sonnenschirm darauf. Aber es war definitiv ein Hingucker und als Fotosujet perfekt. So startete Sino die Drohe während Martin und ich schon mal das Dingi ins Wasser beförderten. Die Aufnahmen, die wir von dieser Insel machten sind teilweise nicht mehr ganz jugendfrei. Doch so gelacht wie bei unserer Fotosession hatten wir schon lange nicht mehr.


Der Sandhaufen 'Mopion'
Der Sandhaufen 'Mopion'

Am darauffolgenden Tag steuerten wir die Insel Carriacou an. Konkret den Süden der Insel, die Tyrell Bay. Direkt neben der Marina befand sich der Eingang in den von Martin erwähnten Mangrovenkanal was als Hurrican Hole bekannt war. Wir setzten den Anker in der Bucht vor der Marina und liessen unser Dingi ins Wasser. Diesen Kanal wollten wir uns genauer anschauen, um zu wissen, wohin wir unsere Makani vertauen konnten, bis der Sturm vorüber war. Wir waren wohl nicht die Einzigen mit dieser Idee. Vor uns und hinter uns fuhren reihenweise Segelboote und Katamarane in den Kanal. Je weiter in den Kanal wir fuhren, desto mehr Boote waren an den Mangroven festgebunden. Mir wurde immer mulmiger und auch das sonst verschmitzte Lächeln war aus Martins’ Gesicht verschwunden.

„Martin, mir isch das überhaupt nid wohl zum do Hinde ine fahre. Wie gsehsch es du? Meinsch simmer nid sicherer, wenn mir eifach ufem Meer blieben und de Sturm abwettern anstatt dass üs do alles um d Ohre flügt vo de andere Schiff?“ „Wenn das s’ einzig Problem wär“ entgegnete Martin. „Mir chömen da gar nid ine. Mir hend nämli zviel Tüfgang!“ „Und was jetz?“ Wir sahen uns ein wenig ratlos an. „Ich wär derfür, dass mir in Süde vo Grenada seglen. Das sind na biz meh als 30 Meile. Döt sötten mir eigentlich sicher si“, meinte ich in der Hoffnung, dass der Captain gleicher Meinung war. „Ja, ich glaub das machen mir. Wenn de Wind passt simmer in guet füf Stund dune. Mir isch au nid ganz wohl zum da bliebe“. Erleichtert verstaute ich unsere Sachen im Innern von Makani während Martin und Sino das Schiff abfahrbereit machten und den Anker lichteten.


Unser Captain sucht nach der Ankerbucht
Unser Captain sucht nach der Ankerbucht

Der Himmel verdüsterte sich immer mehr, während die Crew mit Makani den direkten Kurs nach Süden beibehielt. Keine weiteren Stops mehr auf dem Weg. Ein Blick auf meine App bestätigte, dass 'Beryl' bereits auf die Küsten der karibischen Inseln zuhielt und mittlerweile zu einem ernstzunehmenden Hurrikan der Stufe 3 angewachsen war. Seine Zugrichtung würde Canouan und die Inseln rund um mein geliebtes Union Island und Tobago Cays mit voller Wucht treffen. Auch Makani schien den Druck in den Segeln zu spüren und preschte im Schnellzugtempo durch die Wellen. Bereits hatte uns der nächste Squall eingeholt und der Regen prasselte unaufhörlich vom Himmel. Beim Blick nach vorne konnte man vor lauter Wasser die Linie zwischen Himmel und Meer nicht mehr erkennen und ich war mir nicht sicher ob wir mehr Wasser von unten oder von oben hatten.


Martin im Sturm beim Spleissen einer Reffleine
Martin im Sturm beim Spleissen einer Reffleine

Am frühen morgen des 30. Juni hatten wir die Südspitze von Grenada erreicht. Ein Blick auf unser AIS-System machte deutlich, dass die Häfen und windgeschützten Bucht brechend voll waren. Hier versuchte jeder sein Boot in Sicherheit zu bringen. Klar erkennbar war aber auch, dass auf dem Bildschirm die Boote nur noch Kurs in den Süden nahmen und zwar weg von Granada in Richtung Trinidad. Es hiess nun ‚Rette sich, wer kann‘, denn auch der Hurrikan Beryl hatte seine Zugbahn in den Süden ausgedehnt und das Herz des Wirbelsturm war in Begriff die Insel Carriacou mit seiner Hurrican Hole Marina anzusteuern. Ich war froh, dass wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen hatten und weitergesegelt waren. Doch auch hier waren wir nicht sicher. Der Wettlauf gegen die Zeit hatte begonnen und so segelten wir ohne anzuhalten einfach immer weiter in den Süden - weiter nach Trinidad. Unser Bildschirm zeigte die aufkommende Panik der anderen Segler. Die Fahrt bis nach Trinidad glich eher dem Start eines Segelrennens wie der ARC oder Vendée Globe. Noch nie hatten wir seit La Rochelle so viele Boote neben uns, welche in unmittelbarer Sichtdistanz in die gleiche Richtung segelten.

In dieser Nacht war all unsere Aufmerksamkeit gefordert. Der Bildschirm, welcher die in der Nähe befindlichen Schiffe zeigte wurde normalerweise bei der Makani-Crew weitgehend auf sämtlichen Nachtfahrten ausser Acht gelassen. Dies, weil fast nie auch nur ein Boot zu sehen war.

Dieses Mal war es anders. Wir alle hatten das gleiche Ziel; die schützenden Ufer von Trinidad an, mit dem Hurrikan in unserem Nacken.


ree

Die sichtbaren Boote auf dem AIS


Kurz vor Sonnenuntergang war Land in Sicht. Die Küstenlinie von Trinidad war erreicht und mit uns hielten gefühlt weitere 50 Boote gleichzeitig auf die schmale Eingangspassage zu. „Meinsch mir finden da na e Ankerplatz?“, fragte ich Martin, der gerade in sein Handy vertieft war. „Jo, de Sascha isch scho det und het gad gschriebe, dass nebe ihm na müessti go zum ankere“. „Bis det ane hemer aber namal öpe e Stund, denn simer in de Bucht vo Chaguaramas. De will det denn sin Katamaran use neh für d Hurrikansaison übere Summer“.

Müde erreichten wir schliesslich die finale Bucht und staunten nicht schlecht über die vielen Boote welche sich dort befanden. „Irgend öpis isch komisch“, meinte Martin gerade, als er meinem Blick in das Ankerfeld folgte. Er hatte recht, die Boote standen kreuz und quer in der Bucht. Dies war unüblich, denn normalerweise richteten sich die Boote nach dem Wind oder Strömung in die gleiche Richtung aus. Das war hier aber nicht der Fall. Und beim ersten Versuch neben Sascha’s ‚AHORA‘  zu ankern, wussten wir auch wieso. Der Anker hielt nicht. „Des isch hüne schlammig do, die Anker ziehn nid!„ rief uns Sascha vom Deck der Ahora in breitestem Berndeutsch entgegen. Erst nach dem 4. Versuch über eine Stunde später hielt unser Anker einigermassen. Die Bucht war nun brechend voll und weitere Segelboote strömten immer noch in die Bucht und versuchten ihr Zuhause sturmsicher in den schlammigen Untergrund  zu ankern. Die Boote schwoiten in alle Richtungen, doch mittlerweile war es finstere Nacht geworden. Die ersten Vorboten des Hurrikans waren bereits spürbar, denn die immer höher werdenden Windwellen schupsten die Schiffe wie Spielzeug umher.

In dieser Nacht schlief wohl keiner so richtig. Martin und ich hatten den Ankeralarm gestellt und beteten, dass unser Anker genügend Halt im Schlamm gefunden hatte. Denn nachts in diesen Wellen durch die schwoienden Boot hindurch einen neuen Ankerplatz zu suchen, könnte eine Herausforderung werden. 

Am 1. Juli fegte der in der Geschichte der Karibik wohl frühste Hurrikan der Saison über unsere geliebten Inselparadiese hinweg. Für mich ein Moment des Demuts und des Nachdenkens. Wie klein wir in unserer Nussschale waren auf diesem Planeten und wie machtlos wir der Natur ausgesetzt waren spürte man in diesem Augenblick deutlich. Doch gleichzeitig wurde auch bewusst, wie schön die Welt war und welche Abenteuer für Makani und seine Crew noch bevorstanden. Wir hatten durch den weisen Entscheid in den Süden zu segeln nicht nur Makani gerettet, sondern vielleicht auch unsere Leben.

Auf Kanal 16 hörten wir erste Meldungen über vermisste Boote. Die Küstenwache schleppte Wracks vorbei. Zerrissene Segel erzählten stumme Geschichten.

Der Hurrikan war weitergezogen in Richtung Florida und hatte sich wieder abgeschwächt. Und wir? Wir mussten nun schnellstmöglich zurück nach St. Lucia. Irgendwie. 


Zerfetzte Segel nach dem Hurrikan
Zerfetzte Segel nach dem Hurrikan

Sideinfo: Der in der Karibik wütende Sturm "Beryl" ist zu einem Hurrikan der höchsten Kategorie 5 hochgestuft worden - er kam so früh im Jahr wie noch kein Hurrikan im Atlantik zuvor. Mit einer Windgeschwindigkeit von bis zu 260 Stundenkilometern hatte er sich zu einem "potenziell katastrophalen" Hurrikan entwickelt, wie das Nationale Hurrikanzentrum der USA (NHC) mitteilte.

Kommentare


bottom of page